Der Anruf
Seiner Heiligkeit, dem Patriarchen der Erde und des gesamten Universums, Michael II… waren alle scheißegal. Deswegen hob er auch nicht persönlich ab. Die Gläubigen beichteten einem Anrufbeantworter, der mit einem Computer verbunden war, der über einen logischen Speicher mit mehreren tausenden Floskeln, Fragen, Antworten und Gebeten verfügte. Dieser Anrufbeantworter meldete sich ständig mit: „Ich grüße dich, mein Sohn (meine Tochter), befreie deine Seele durch Reue“, zu Beginn und: „Im Namen des Vaters, vergebe ich dir die Sünden, gehe hin in Frieden“, am Ende.
Die Technik ließ ihn nie im Stich.
In den letzten Jahren wurden Telefonbeichten äußerst beliebt, daher riefen alle an: Vom sechsjährigen Mädchen, das seinen Bruder unabsichtlich kränkte, indem es ihm den Laserkugelschreiber weggenommen hatte, bis hin zum politischen Funktionär, der zufällig eine Atombombe auf ein unnützes Land abgeworfen hatte.
Das monotone Schnurren des Anrufbeantworters wiegte den Patriarchen in den Schlaf, und er begann, auf seinem Arbeitszimmersofa zu dösen. Plötzlich hörte man aus dem Lautsprecher einen tosender Bass, der sich durchs Echo im Zimmer verteilte:
„Du hast mich verraten, Michael! In meinem Namen und für Geld hast du Vergebung ausgeteilt und dafür verdienst du eine Strafe, aber dank der Gebete deiner Brüder, wahrer Christen, vergebe ich dir.“
Aus irgendeinem Grund kam dem Patriarchen diese Stimme äußerst bekannt vor. Danach klangen die Worte des Anrufbeantworters: „Im Namen des Vaters, vergebe ich dir die Sünden, gehe hin in Frieden“, ziemlich absurd.
Michael sprang vom Sofa auf und trippelte zum Telefon. In seiner goldenen Kutte und mit seiner funkelnden Glatze ähnelte er einem ungegessenem Kuchen. Das Erste, womit er herausplatzte, nachdem er den Knopf des Novizen-Sekretärs gedrückt hatte, war:
„Woher wurde angerufen?“
Nach einer Weile erklang eine verwirrte, jugendliche Stimme aus dem Lautsprecher:
„Aber, Eure Eminenz, ich dachte, dass…“
„Um Gottes Willen, was hast du gedacht? Was hast du gedacht, mein Sohn?“, sagte der Patriarch verärgert. Und er fügte hinzu: „Das sind wieder die Protestanten…“
Allerdings konnte der junge Novize dieses „wieder“ nicht verstehen, doch er arbeitete hier auch noch nicht allzu lange.
„Stellen Sie unverzüglich den Aufenthaltsort des Anrufers fest“, befahl der Patriarch, „wozu haben wir sonst am gesamten Planten Überwachungssysteme installiert? Und verdoppeln Sie auch die Gebühren für die Telefonbeichte. Ich bin von Trotteln umgeben, verzeih´ mir, oh Herr“, murmelte er und ging zum Sofa zurück.
Die Technik ließ die Kirche nie im Stich.
Und dem Anrufer wird es jetzt schlecht ergehen…
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Das Telefon verstummte. Seine Heiligkeit, Patriarch Michael II, legte sich erneut auf sein Sofa und begann friedlich zu schnarchen. Jetzt konnte man ruhig schlafen. Denn alle waren ihm schon längst scheißegal.
Februar 1996, Mykolaiv.
Übersetzung am 7. November 2013, Wien
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