Dienstreise
Eine Erzählung
Alle Kriege enden sich
in den Hauptstädten der Aggressoren…
Ich hätte diesen leichten Ruck nicht einmal bemerkt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er genau in diesem Moment passieren musste.
Die von ihm erzeugte Luftschockwelle holte den Airbus ein: Beim Anflug auf das Ziel verließ er den Hyperschallgeschwindigkeitsmodus. Danach befand er sich schon praktisch im Gleitflug. Für einen solchen Flug gab es ausreichend Solarhilfsmotoren in den Flügeln, daher gab es ein Motordröhnen im Passagierraum, das aber ohnehin kaum hörbar war und dann überhaupt verschwand.
„Sehr geehrte Passagiere!“, erklang die sanfte Stimme der Stewardess aus den Lautsprechern an der Decke des Passagierraums. Sie sprach Englisch. „Unser Flug nähert sich seinem Ende. In wenigen Minuten landen wir auf dem internationalen Flughafen Sewastopol. Nehmen Sie bitte Platz! Ihre Sitze werden jetzt automatisch in einen individuellen Antibeschleunigungs- und Vorlandungsmodus gebracht. Wir danken Ihnen, dass Sie sich für Australian Airlines entschieden haben und wir hoffen, dass Sie keinen anstrengenden, sondern sogar einen angenehmen Flug hatten und wir hoffen auch, dass Sie schon bald wieder mit uns fliegen werden! Alles Gute!“
Und sie wiederholte diese Meldung noch in mehreren Sprachen. Darunter auch in Russisch. Sowie natürlich auch in der lokalen Amtssprache.
Nun, meinen Sitz habe ich nicht verlassen… Aber während dieser paar Flugstunden habe ich es auch nicht geschafft, mich zu überanstrengen. Ein Überflug von Australien hierher mit einer Geschwindigkeit von 10 Mach – der zehnfachen Schallgeschwindigkeit in der irdischen Atmosphäre… Klar, dass du es da nicht schaffst, dich zu langweilen. Obwohl es auch solche Menschen gibt.
Und unten schimmerte bereits das Blau des in der Sonne funkelnden Schwarzen Meeres hinter den Wolken hervor und die Küstenlinie der Krim kroch schnell näher. Vom Cockpit aus mussten auch schon die Flughafen-Tower sichtbar sein.
Nach der Landung rollte das Linienflugzeug zum barrierefreien Gateway, das in den Flughafen führte, und brachte seine Tür in Stellung und ich begann mit Hilfe der Stewardess meinen Platz zu wechseln – von dem, für mich angepassten Flugsessel in meinen eigenen Rollstuhl. Dieser passte sich ebenfalls automatisch an meinen Körper an.
Ja, einige Krankheiten waren leider noch immer unheilbar. Nur gut, dass sie zumindest keine tödlichen mehr waren.
Nachdem ich das Kopfband des Neurojoysticks angezogen hatte, fuhr ich in Begleitung der anderen Passagiere aus dem Flugzeug hinaus und in eine breite lange Schleuse hinein, die den Passagierraum mit dem Flughafengebäude verband. Ich steuerte meinen Rollstuhl dabei durch meine Gedanken…
Die Passkontrolle war eine reine Formsache: der Beamte schaute nicht einmal vernünftig auf mein Foto. Von einer Gepäckskontrolle ganz zu schweigen – alles wurde noch in Australien, in Brisbane überprüft.
Ich fand mich dann in einem riesigen, mehrstöckigen, nach allen Richtungen transparenten Flughafengebäude wieder und begann, mich nach jemandem umzusehen, der mich treffen würde. Menschenmassen, verschiedene holographische Anzeigen blitzten in der Luft auf, ein geräumiger Wartebereich mit verschiedensten Cyber- und Holografiespielereien, umgeben von einem Kreis von Cafés und Restaurants…
Ich buchte ein Zimmer im „Schwalbennest“ – nein, nicht in dem berühmten auf einem Felsen bei Jalta, es gab hier an der Küste einfach ein Hotel, das so hieß – und von dort sollte mir eine Assistenz- und Begleitperson geschickt werden. Vermutlich wieder ein Marine…
Eigentlich wählte ich dieses Hotel wegen seinem direkten Zugang zum Meer. Und auch wegen den Masseurinnen mit ihren (Zitat aus der Hotelwerbung) „nächtlichen, Entspannungs- und Schlafmassagen“. Gut, eine Massage ist eine Massage! Mir war es egal, wie das hier genannt wurde. Nur ein Scherz. Ein Tophotel, natürlich, ganze fünf Eurohrywnja in der Woche! Im Schwarzen Meer wollte ich aber natürlich schon ungehindert plantschen! Aber war das teuer?! Auf jeden Fall nicht für mich!
Nun gut, irgendwo muss hier ein Schild mit meinem Namen sein… Ah, dort! Sie kommt selbst auf mich zu.
„Guten Tag, mein Herr!“, verkündete die Schildträgerin halb im Scherz, während sie näher kam. „Marinesergeant Katharina Sinitsyna. Oder einfach Katja. Wir können per Du sein. Ich bin Ihre Assistentin während Ihres Aufenthaltes hier. Herzlich Willkommen auf der Krim!“
Sie fragte nicht einmal nach meinem Namen, sie erkannten mich natürlich sofort. Nun, ich bin nicht schwer zu erkennen…
Die Zugehörigkeit dieser jungen Person zur Armee verriet sich nur durch ein Emblem der nationalen Kriegsmarine auf den Shorts des Mädchens. Und sonst… Teure Sonnenbrille, ein modisches kurzes Top, ein Tattoo auf dem Unterarm, ein Bauchnabelpiercing…
„Na so was, das sind also die heutigen Marines…“, ich streckte mich und reichte ihr die Hand.
„Ach, als ob Sie das nicht gewusst hätten!“, meinte Katja.
„Nun, jedenfalls ist das Geschlecht meines Assistenten eine angenehme Überraschung. Also, Katharina, wirst du auch die Massagen machen?“
„Nein, die Massagen machen bei uns schönere Leute“, kicherte sie.
„Was, noch schöner?!“, wunderte ich mich und fügte beinahe hinzu, „und das für fünf Euro in der Woche!“
„Ich sehe, Sie versuchen, ein Mädchen zum Erröten zu bringen…!“
„Bitte: Du“, korrigierte ich, „und einfach mit Vornamen. Meinen Namen, glaube ich, kennst du?“
„Und ob! Wir schauen doch alle fern. Und wo ist Ihr… dein Gepäck?“
Ich deutete mit dem Finger auf meinen Kopf und sagte dann:
„Scherz. Nicht nur dort. Sondern noch in einem Rucksack im Rollstuhl und in einem Gepäcksfach. Ich habe eigentlich alles bei mir. Ich bin unkompliziert, ich führe keinen Kosmetikkoffer mit mir herum…“
Während wir uns so unterhielten, gingen wir bereits zu den Aufzügen hinüber, die die Passagiere zu der Metro oder zum Taxi brachten, beziehungsweise von dort zum Flughafen. Meine hiesige Assistentin gefiel mir auch sofort deswegen, weil sie meine „zusammenhängende“, nicht ganz verständliche Sprechweise ohne Problem verstand. Die Kurse zur Erkennung der Aussprache kranker Menschen waren übrigens schon seit 30 Jahren für alle Bewohner der Erde verpflichtend. Insbesondere in der Armee. Wobei, wozu gab es diese Kurse überhaupt noch, wenn ich als letzter Kranker übriggeblieben war?!
Ja, die Menschheit hatte offenbar wirklich begonnen, klüger zu werden, wenn sie schlussendlich eine wirkliche Anwendung für die Armee gefunden hatte. Wenn man lange keinen Krieg geführt hatte… Kein Feind, kein Kriegsziel, keine Waffen – zum Glück.
Plötzlich erklang das bekannte „Mutter“ in meinem rechten Ohr. Das Headset meines iPads, das in einer Spezialtasche meiner Hose eingearbeitet war, stieß den Klingelton aus. Ich war überall mit der Welt verbunden… Wie alle übrigens.
„Anruf entgegennehmen!“, sagte ich dem iPad.
„Also, wo bist du?“, fragte Mamas Stimme im Headset.
„Wie, wo schon? Am Flughafen von Sewastopol.
„Und warum rufst du nicht an, warum meldest du dich nicht? Macht es dir nichts, wenn sich deine Mutter Sorgen macht?“
„Also, erstens wollte ich gerade anrufen…“, hier war ich ein wenig unaufrichtig: Ich hätte sie jetzt nicht angerufen und wahrscheinlich auch lange nicht daran gedacht…, „Und zweitens ist alles wie immer: Der Flug war wunderbar, alles war wunderbar, ich bin gerade auf dem Weg zu meinem ständigen Aufenthaltsort hier – dem Zielhotel. Warum sollte man sich Sorgen machen? Das ist doch nicht das erste Mal! Was könnte mir überhaupt passieren?! Dreh in Ruhe ein paar Runden mit deinen Skates auf der Donauinsel…!“
„Mir Sorgen zu machen – das ist mein Job!“, erklärte Mama, „Das erste Mal oder nicht… Du skatest doch nicht im Park, sondern du bist um die die halbe Welt geflogen!“
„Aber bist du dir im Klaren darüber, dass moderne Flugzeuge statistisch sicherer sind als Inline-Skates? Ach, und darüber machst du dir Sorgen! Wenn du sehen könntest, was für eine Assistentin man mir zugeteilt hat…“, Katharina lächelte nur und verdrehte dabei kokett die Augen, „Nun, egal, ich melde mich später. Aus Chile. Tschüss.“
Ja, genau, ich meinte aus dem Land Chile. Das war natürlich nur ein Scherz: Wann würde ich noch einmal in Chile sein? Ach ja, in einer Woche. Bis dahin würden wir freilich noch hundert Mal telefonieren.
„Nun, hast du verstanden, wer das war?“ fragte ich jetzt erneut Katja.
„Mmmh… die Ehefrau?“
Das war eine dreiste Schmeichelei. Aber eine sehr süße.
„Nein“, antwortete ich, „die Ehefrau würde sich nicht so sorgen: sie hätte keine Zeit…“
Katja lächelte – sie verstand, dass ich auf die Witze anspielte, bei denen der Ehemann immer auf Dienstreisen ist – dann fügte sie hinzu:
„Ach so, sie würde hinter dir herfahren und dich bespitzeln!“
„Ja, in der Tat. Mama aus Wien. Sie kann sich irgendwie nicht daran gewöhnen. Ich habe die Erde schon fünfmal umkreist, aber sie… sie sagt sogar zehnmal! Es ist angeblich ihr `Job´“.
„Könntest du meinen Vater hören! In Murmansk! Wirklich, so als ob ich im Krieg wäre…!“
„Die ältere Generation kann vermutlich nicht so schnell davon ablassen…“, philosophierte ich, „Alles ist irgendeine Falle, überall lauert die Gefahr – nach der Einigung und dem Ende aller Konflikte! Zu schön, wie man sagt, um wahr zu sein…! Und wenn plötzlich was ist?! Schwierige Kindheit, schlechtes Spielzeug, wie es heißt. Und du bist aus Murmansk? Hattest es satt, zu frieren?“
„Ja, natürlich! Du frierst in ihren Gewächshäusern unter einer künstlichen Sonne! Ich habe mich hierher versetzen lassen, weil es hier kühler ist…“
…Beim Betrachten der sich schnell entfernenden grandiosen Flughafenanlagen aus dem Wagon der schwebenden Einschienenbahn heraus, hätte ich das gerne einen Weltraumbahnhof genannt…! Das war übrigens nicht allzu sehr von der Wahrheit entfernt: einige kleinere Schiffe flogen von hier in den Kosmos hinaus. Kurze Reisen: zur ISS-2, zum Mond…
* * *
Ich lag auf einer Decke in der Nähe der Brandung. Ich sonnte mich.
Ungeachtet dessen, dass es Mitte Juli und Mittag war, war das Wasser hier recht kühl. Das Meer „überschlug“ sich, wie man es hier nannte: das kalte Wasser aus der Tiefe stieg plötzlich an die Oberfläche. Dies geschieht in den Küstengewässern der Krim gewöhnlich Mitte des Sommers… Aber egal – dafür erfrischte ich mich nach dem Jetlag.
Mein hiesiger Ausflugsrollstuhl aus dem Hotel stand daneben. Ich nahm diesen, weil er ein Strandrollstuhl war (ein, für derartige Plätze, geeigneterer als meiner): breite Kunststoffräder, ein wasserfester geomagnetischer Motor und Akku, ausziehbare Unterwasserkotflügel, kleine Schrauben…
„Wenn Sie hier solche Hotels haben“, sagte ich dem Portier, als ich im „Schwalbennest“ einzog, „wie schauen dann die Sanatorien aus?!“ Aber er erwiderte freundlich: „Sanatorien sind für uns keine Konkurrenz.“ Wir lachten kurz…
Schon nach etwa einer oder eineinhalb Stunden hatten wir uns in einer Zweizimmer-Suite eingerichtet und es uns gemütlich gemacht, ich verließ mit dem neuen Rollstuhl das Hotel und fuhr entlang einer langen schrägen Abfahrt zum Strand. Ja, die ganze Erde war nun so…
Barrierefrei…
Auf diesem Gerät hätte ich sogar schwimmen können, aber ich bin keiner jener Leute, die ständig im Rollstuhl sitzen. Er brachte mich ans Ufer – danke, das reicht. Aber ich schwamm – mit Katja und mit Memphis und Kursk. Memphis und Kursk waren zwei Delfine, die offensichtlich enttäuscht waren, als ich frierend aus dem Wasser stieg. Was, so kurz?! Insgesamt schwamm er mit uns nur etwa eine Stunde…! Bis jetzt quietschen sie und bespritzen mich, sie lassen es nicht zu, dass ich trocken werde…
Jetzt ist es natürlich schon schwer vorstellbar, dass diese Tiere (also, natürlich nicht genau diese Tiere, aber ihre Vorfahren) für kriegerische Zwecke eingesetzt wurden. Man bindet Sprengstoff an die Tiere und befiehlt auf feindliche Schiffe zu zuschwimmen. Sie anzugreifen. Selbstverständlich ein Kamikaze-Tier: Wer überlebt denn schon so etwas?! Das wurde unter anderem auch hier, in Sewastopol, praktiziert… Einem normalen, gesunden Geist ist es schwer begreifbar, dass die Welt einmal so verrückt und wild gewesen war. Dass sie überhaupt so sein kann!
Ich meine ja nur… Aber wieso habe ich jetzt eigentlich damit angefangen?
Ja, derartige Delfintherapien, die ich schon in verschiedenen Meeren der Welt machen durfte, waren natürlich nützlich für mich: Selbstständig schwamm und ging ich im Wasser schon ziemlich gut. Momentan leider nur im Wasser. Aber ich hoffte, dass ich es mit der Zeit nicht nur dort könnte…
Ich wärme mich jedenfalls in der Sonne, und meine Assistentin erklärt den Delfinen, dass ich bald zu ihnen ins Wasser zurückkäme und sie schlägt vor, sich einstweilen mit anderen Kunden zu beschäftigen, da höre ich eine vertrauten und freudige Ausruf:
„Ігор! Оце так зустріч! Як ся маєш?! (Igor! Was für ein Zufall! Wie geht´s dir?)“
Mein alter schwarzer Freund aus Johannesburg, Lucky Svenjev, kam entlang des Strandes auf mich zu und fuchtelte dabei grüßend mit den Armen.
Ich hatte mit ihm am Kap der Guten Hoffnung Laserpacketsender für ein, damals noch in Bau befindliches, Tesla-Kraftwerk installiert und getestet… Er begrüßte mich normalerweise so – auf Ukrainisch. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass Katharina aufhorchte und etwas angespannt war.
„Oh, wenn sehe ich denn da! Was machst denn du hier?“, ich antwortete auf Russisch, er war herübergekommen und hatte sich zu mir gesetzt. Dann fügte ich noch leise hinzu: „In der Gegenwart der Krimmarine sich gleich so vorzustellen? Das ist gewagt!“
„Das ist richtig“, bestätigte Katja, „mir ist Polnisch lieber. Ich verstehe es besser.“
Und sie lachte. Was für eine fröhliche Assistentin habe ich doch…
„Ich stelle euch schnell vor“, sagte ich, „Katherina, Lucky, mein Kollege aus Südafrika.“
„Sehr angenehm! Und ich wusste nicht, dass du verheiratet bist“, fuhr Lucky auf Polnisch fort.
„Was, habt ihr das heute irgendwie abgesprochen?! Das ist meine persönliche Assistentin, die mich hier begleitet. Bisher. Obwohl… es ist noch nicht aller Tage Abend. Nach allem, womit wir uns hier beschäftigen…“
„So, aus, ich hau´ von hier ab! Während ihr Mädels euch hier unterhalten könnt…“
Und Katja ging, nachdem sie mir unmerklich zugezwinkert hatte, entlang der Brandung zu einem nahen Küstencafé. Vermutlich, um mir etwas zum Essen zu holen.
„Ist sie eh nicht beleidigt?“, erkundigte sich Lucky nur für alle Fälle, weil er unseren Humor nicht völlig verstand.
„Nein, schenk´ dem keine Aufmerksamkeit“, versicherte ich, „Assistenten nehmen den Patienten nichts übel. Also, warum bist du hier? Welche Strahlen haben dich hierher geweht?“
Hier meinte ich natürlich kosmische Strahlen. Das war Luckys Spezialgebiet.
„Nun, welche wohl?“, er deutete auf das Hotel, „Sieben Sterne und nächtliche Entspannungsmassagen! Nur ein Scherz. Ich bin wegen des „ersten Lichts“ beim KrAO hergekommen…“
„Hat man dich auch eingeladen?“
Ich bin hier in der Tat auf Einladung des Krimschen Astrophysischen Observatoriums für die Eröffnung des adaptiven zwanzig Meter Fernrohrs. Und natürlich auch für die erste Testbeobachtung mit ihm – „das erste Licht“. Sie mussten mich verständlicherweise einladen. War ich es doch, der ungeachtet davon, dass das Astroklima hier für ein Zwanzigmeter nicht optimal ist, die Astrounion von der Bedeutung des Baus eines solchen Instruments genau im KrAO überzeugt hatte. Vor allem von der Bedeutung für das weltweite Netzwerk analoger Langbasisinterferometrie-Teleskope. Die einzelnen Netzstandorte sind auch solche Zwanzigmeter – die schon auf Hawaii, in Tibet, in Australien und auch am Mond und am Mars errichtet wurden.
Und die Objekte für diese ersten Beobachtungen habe auch ich ausgesucht. Gut, das heißt, nicht ich allein, natürlich, aber als Teil einer wissenschaftlichen Kommission… Bestehend aus drei weiteren Direktoren von Observatorien.
„Na dann habe ich einen Vorschlag“, fuhr ich fort, „Fahren wir morgen zum KrAO! Hast du was dagegen?“
„Ich wollte gerade genau das Gleiche vorschlagen! Natürlich nur, wenn ich dich und deine Assistentin nicht störe… Okay, ich bin schon still! Ich bin hier sowieso nur zum Übernachten.“
„Wo bist du eigentlich gerade? Frierst du immer noch in Grönland auf deinen Gammateleskopen?“
„Nee, schon in der Antarktis, ich arbeite an den Neutrinos.“
„Wie geht´s dir in der Kälte, du Sonnenmensch?“, ich meinte natürlich einen Menschen von einem sonnigen und heißen Kontinent.
„Aber dort ist es nicht kalt“, widersprach Svenjev, „unter dem Eis und der Erde. Und von der Arbeit nach Hause ist es nicht weit zu fliegen… Und wohin gehst du nach der KrAO?“
„Nach Chile zu meinen Fünzigmetern. Auf einen langfristigen Dienstort… In Australien ist sowieso schon alles betriebsbereit…“
„Jaja, langfristig!“, Lucky grinste, „Aha, ich verstehe. Hör mal, machst du dich zufällig auf den Weg zur ISS-2? Oder sagen wir zum Mond?“
„Momentan nicht“, antwortete ich und zwinkerte, „Ich bin mit der medizinischen Untersuchung noch nicht durch. Vielleicht nächstes Jahr – mithilfe der Delfine…“
Katja kam in dem Moment zurück und brachte mir zwei Wurstsemmeln und einen Eiscafé. Und Bier für alle.“
Etwas weiter in der Bucht von Sewastopol stiegen ständig Jäger und Bomber von Flugzeugträgern in den Himmel auf…. Dieser ununterbrochene „Hit der Saison“ für alle Kinder war der Tod des Kleingelds aller Eltern – eine Attraktion. Denn wer konnte schon der Vorstellung widerstehen, in einem echten, allerdings entwaffneten Militärflugzeug von einem Flugzeugträger abzuheben?! Und welche Eltern konnten das ausschlagen?!
* * *
Am nächsten Tag beschlossen wir, aus Sewastopol zum KrAO zu fahren, wieder mit der Metro. So war es bequemer, unkomplizierter und schneller. Diesmal war es eine echte unterirdische Hochgeschwindigkeits-Metro – eine U-Bahn.
Soweit ich mich vom letzten Mal erinnern kann, fährt man anfangs 20 Minuten nach Bachtschyssaraj und von dort mit der Lokalbahn direkt zum Observatorium. Die Lokalbahn ist auch eine Metro, aber keine so tiefe – in hundert Meter Tiefe und bedeutend „leiser“ und „ruhiger“: um die hochpräzisen Instrumente auch nicht durch die geringsten Erderschütterungen zu stören. Obwohl ich auch die Intercity-Metro, ehrlich gesagt, nicht sehr gehört oder gespürt hatte…
„Zehn Minuten“, sagte Katja plötzlich, als wir uns in einem großen Personenlift hinunter zu einem Bahnsteig bewegten.
„Was?“, ich verstand nicht und drehte mich in meinem Rollstuhl zu ihr hinüber. Schon in meinem eigenen, selbstverständlich, man fährt doch nicht mit einem Strandrollstuhl zum KrAO!
„Zehn Minuten fährt der Zug nach Bachtschyssaraj“, wiederholte Katja, „Nicht zwanzig.“
„Wirklich? Letztes Jahre waren es doch noch zwanzig Minuten.“
„Dieses Jahr fahren neue Züge. Expresszüge.“
„Wow!“, meldete sich Lucky, „Habt ihr hier schon Überschall-Metros?“
„Nein“, erklärte ich, „mit Überschallgeschwindigkeit würden wir nur etwa zwei Minuten fahren! Kannst du nicht mehr rechnen? Das sind keine Entfernungen wie in Sibirien oder im Himalaja…“
Ja, ich bin dort mit der Metro gefahren… Damit ist gemeint, im Himalaja. Aber auch in Sibirien. Das Überholgeräusch unter der Erde ist auch ein Erlebnis…!
Die Liftklappen öffneten sich und wir fanden uns auf einem riesigen ebenen Bahnsteig mit einer Breite von fünfzig Metern wieder. Es gab weiche Sitze. Die Züge näherten sich von zwei Richtungen und fuhren in zwei Richtungen weiter. Das hohe schneeweiße Gewölbe dieser Station wurde von massiven polierten Säulen getragen.
Die reingepumpte Luft in einem halben Kilometer Tiefe roch nach Krimblumen und Minze…Und natürlich gab es für die Wartenden auch verschiedene Arten von Unterhaltungs- und Informationshologrammen.
Und während wir auf unseren Zug warteten, fing eine Nachrichtensendung an. Live aus Moskau, der Lokalhauptstadt. Der erste öffentlich-rechtliche Kanal Ostankino… Natürlich in der lokalen Amtssprache des Landes. Und vielleicht bin ich damals in Moskau auch dafür auf eine Mine gestoßen und in die Luft geflogen, während ich die Überreste der letzten großen Militäraktion entschärfte. Genau diese Aktion führte die Welt an den Rand einer nuklearen Katastrophe, nach der schlussendlich eine Vereinigung der führenden und zur Vernunft gekommenen Länder der Erde zustande kam… Die Einigkeit…
„Das vierzigjährige Echo“, wie die Presse diese Überreste gerne nennt. Man hat mich damals so gut zusammengesammelt wie man konnte… Und ich musste vom Minensucher zum Astronom umschulen… Na wenn schon?! Astronomie war ohnehin mein zweiter Beruf…!
Nein, niemand hat irgendjemanden bekämpft oder zu etwas gezwungen! So etwas macht man schon lange nicht mehr. Es geschah einfach. Hier mit der Amtssprache. Weil ein Pendel kann doch auch in die andere Richtung ausschlagen…
Und das Meer kann sich „überschlagen“…
Und so tauchten im holografischen Bildschirm ein Ostankino-Studio und zwei Moderatoren in ihm auf. Der Mann begann zu sprechen:
„Добрий день, шановні телеглядачі! Ми розпочинаємо з Москви новини нашої неоглядної батьківщини та світу. У студії для вас працюють Роман Скрипін і… (Guten Tag, sehr geehrte Zuschauer! Wir beginnen mit Nachrichten aus unserer riesigen Heimat und der Welt. In Moskau für Sie im Studio sind Roman Skripin und…)“
„…Тетяна Даниленко, вітаємо!.. (Tatjana Danilenko, wir begrüßen Sie…!)“, setzte die Frau ebenfalls auf Ukrainisch fort.
24. März 2014 Wien.
Illustration – Ljubov Nikolaevа.
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