Die Speziallösung
Ein politischer Astro-Thriller
Prolog
„…Hey, dafür haben wir nicht gestimmt!“, rief einer, der von Taten des „neuen“, von ihnen gewählten Präsidenten schockiert war.
Selbstverständlich! Wer stimmt schon für die Anhebung des Pensionsalters auf 90, für Steuern auf Wasser und Wärme, für Kürzungen des eigenen Lohns und der eigenen Pension und noch für andere „Landesinteressensabgaben“? Und das sind bei weitem nur die herausragendsten „Großtaten“ der neuen, kürzlich unter vielen Anführungszeichen „gewählten“, Regierung. Nun, was Transparenz anbelangt, die Demokratie, die Menschenrechte der einzelnen… was soll das überhaupt sein?
„Mit Erleuchtung!“, antworteten ihm die anderen, ihre verhassten Opposition in den Wahlen, „Aber dafür haben wir nicht gestimmt! Also, jetzt ist es wirklich spät: fresst´ eure eigenen Banditen, Mahlzeit! Ihr habt jene doch nur gewählt, um euch die verhasste Gewalt auszuwechseln, die nicht die eurige war. Wurde sie ausgewechselt? Man hat bekommen, was man verdient hat! Und jetzt kann man sie nicht verjagen. Demokratische Neuwahlen könnt ihr vergessen. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich ein Asteroid nähert, der sie alle kurz und klein schlagen wird. Und zwar vollständig…
Bekanntermaßen ist eine neue Regierung immer schlechter als die vorhergehende. Und in sogenannten „neuen Demokratien“ ist es gewöhnlich sogar schlagartig schlechter. Es ist überraschend einfach. Und nach etwa einem halben Jahr verstand das Volk, was es gewählt hatte, wenn es sich vergewissert hatte, das es sich nicht um die „eigenen“ Banditen handelte. Na und? Man hatte eine Weile gesprochen, sich in den Küchen und Vorgärten unterhalten, dabei hatte man sich über die Regierung, den Präsidenten, das Schicksal und über sich selber dumm und zügellos aufgeregt und ging dann wieder auseinander.
Man darf aber nur dann Sachen schlecht reden, wenn es niemand hört. Im Fernsehen ist deshalb immer alles wunderbar und wer hat Lust auf eine Jagd mit den „Knocheneinrenkern“ jener Behörden?
Da jede Regierung eine von Gottes Gnaden ist, (wie von den Regierungskirchenmänner behauptet), muss man sie auch durch himmlische Mächte entfernen.
Und schlussendlich erreichte ein Asteroid die Erde.
* * *
Zehn Jahre zuvor. Irgendwo zwischen den Umlaufbahnen des Mars und der Erde.
„Ist es denn nicht möglich, dass wir ein Stückchen von diesem Kindchen abzwicken und ihn auf der jetzigen Umlaufbahn belassen?“, meinte Denis im vollen Ernst. „Was denn? Er könnte eine unserer Regierungen plattmachen. Das Volk wird uns dafür dankbar sein.“
Nach ein paar Sekunden fing er an zu lachen und auch die übrigen brachen in Gelächter aus.
„Ein Scherz“, fuhr Denis fort, obwohl das ohnehin allen klar war, „ein Treffer in zehn Jahren auf einem bestimmten Punkt der Erde und in einem bestimmten Eintrittswinkel in die Atmosphäre, um nicht zu verglühen, aber auch nicht über der ganzen Stadt zu explodieren (etwa so wie der Tunsguska-Meteorit über der Taiga), sondern genau in ein Gebäude einschlagen, ohne die benachbarten Gebäude zu zerstören… Aber so etwas kann bisher noch nicht einmal ein Computer berechnen. Ganz zu schweigen davon, dass es überhaupt niemand sagen kann, ob sich die Regierung zu diesem Zeitpunkt in dem Gebäude befinden wird.“
Es lachten zwar alle weiter, aber sie waren sich schon nicht mehr so sicher, ob er wieder nur scherzte oder nicht.
Denis Schepka war ein Scherzbold und Anführer der Besatzung. „Ein wahrer Entertainer“. Das Thema seiner Forschungsarbeit war „Speziallösung der AG-Aufgabe mithilfe der allgemeinen Lösung der PB-Aufgabe“. Eigentlich verstand niemand, was das bedeutete.
AG stand für Asteroidengefahr. Was PB anbelangt, winkte er ab: „Präventivbeseitigung“. Wieder war sich keiner wirklich sicher, ob das ein Scherz oder sein voller Ernst war. Er übersetzte seiner internationalen Crew auch seinen eigenen Familiennamen nicht. Man musste in den Wörterbüchern stöbern, wenn es einen so sehr interessierte.
Das, was Denis ein „Kindlein“ nannte, war ein zwei Kilometer großer Asteroid, der momentan noch keine spezielle Bezeichnung erhalten hatte, sondern nur Kürzel mit Buchstaben. Das riesige interplanetare Raumschiff befand sich schon seit zehn Tagen in der Umlaufbahn des Asteroiden, genauer gesagt, auf einem, parallel zu dessen Umlaufbahn liegenden Kurs. Aufgrund der winzigen Gravitation des „Kindleins“ war es leichter, ihn als Reisegefährten zu begleiten als in seine Umlaufbahn einzutreten.
Nun, dieser Asteroid war wie jeder Asteroid. Ein kleiner, man könnte sogar sagen, winziger Planet, unförmig, ungeordnet. Ein sich um mehrere Achsen rotierender Felsbrocken, der im Laufe von Milliarden Jahren von der kosmischen Erosion zerfressen wurde, geschwärzt von der ultravioletten Strahlung der Sonne, überzogen von Kratern jeder Größe, zerklüftet und übersät mit Spalten. Somit nichts Außergewöhnliches, abgesehen davon, dass er als gefährlicher Asteroid eingestuft worden war, weil er die Umlaufbahn der Erde kreuzte. Eigentlich war das sogar der Grund dafür, dass diesem Asteroiden die Ehre zuteilwurde, von einem riesigen Raumschiff besucht zu werden. Verständlicherweise, um die Umlaufbahn dieses Himmelskörpers ein wenig zu verändern.
Zu Beginn wurden Proben gezogen und verschiedene Messungen und Berechnungen durchgeführt. Schlussendlich kam es zur Landung auf der Oberfläche, um dort einen Ionenmotor zu befestigen. Das war natürlich Männerarbeit. Die Damen machten sich an Bord bei den Beobachtungen nützlich und sorgten für die nötige Rückendeckung. Abgesehen davon befand sich unter ihnen, den Damen, auch Emma Rogers, die Schiffskommandantin.
„Deny, du solltest besser an die Arbeit gehen“, tönte Emmas Stimme aus den Kopfhörern des Raumanzugs, „vergeudest du nicht deine Luft mit diesen Scherzen?“
„Wofür sollte ich sie den sonst vergeuden, Em?“, antwortete Denis, „Im Unterschied zu diesen drei Schmarotzern bin ich doch schon fertig“.
„Was mich betrifft, bin praktisch auch fertig“, antwortete Kurt, der zweite Pilot, phlegmatisch. „Immer langsam mit den Schmarotzern. Sonst kannst du gleich am Asteroiden bleiben“.
Er formte mit seiner Hand eine Pistole und richtete sie dann auf Dennis. Die zwei anderen Crew-Mitglieder, der Bordingenieur Stan und den Forscher Raul, erwiderten den Scherz und teilten dann ebenfalls mit, dass sie mit ihren Arbeiten beinahe fertig seien.
„Aber hier droht eine Komplikation“, murmelte der Brillenträger Raul, „denn das Regolith im Motor ist nicht wirklich strapazierfähig und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass während der Installation und der ersten Inbetriebnahme der Maschine irgendetwas abbröckelt, man könnte fast sagen, sich häutet.“
„Dennoch wird es einen Happen geben!“, rief Denis begeistert.
„Natürlich nur einen kleinen, aber wem gefällt das schon, wenn einem ein ganzer LKW auf den Kopf fällt.“
„So, wer wird die Jagd antreten?“, fragte Kurt in seiner typischen Sachlichkeit, „Werfen wir wieder eine Münze?“
„Ach, ihr spielt schon wieder alle Krieg“, seufzte Emma, „den Krieg der Sterne. Diese Burschen….“
„Ja, in Wirklichkeit wollen wir uns davor drücken“, erklärte Stan der Kommandantin, „Denkst du leicht, wir wollen unbedingt Streichhölzer ziehen? Der Dienst vergeht selbst, wenn der Astronaut schläft.“
„Ja, und es ist auch erstrebenswert, nicht alleine zu schlafen“, ergänzte Denis in einem vielsagenden Ton. Katrin, die Funk-Navigatorin, die sich an Bord neben der Kommandantin befand, kicherte.
„Vulgär“, merkte Rogers an.
Kurz gesagt, das Los entschied. Man warf Würfel und wie immer gewann Denis.
Eine Stunde später waren alle wieder an Bord des Schiffes. Sie hatten mit dem Manöver begonnen und das Raumschiff entfernte sich vom Asteroiden. Ein Brocken löste sich von ihm genau zur vorhergesagten Zeit und flog auf seinem vorhergehenden Kurs, was natürlich nicht ungefährlich war.
In fünf Arbeitsjahren wird sich der Ionenmotor, der am Asteroiden befestigt war, im Gebiet des Aphels auf der Umlaufbahn des kleinen Planeten für einige Monate einschalten. Von der Sonne aus gesehen, wird er sich dann am weitest entfernten Punkt seiner Umlaufbahn befinden. Er wird dann aufhören, die Umlaufbahn der Erde zu kreuzen und somit auch nicht mehr in die Kategorie der „gefährlichen Asteroiden“ fallen. Und eigentlichen bestand „Die Allgmeine Lösung der Asteroidengefahr“ genau daraus.
Und was den Asteroidensplitter betraf…
Nach drei Stunden Jagd kehrte Denis Raumflitzer auf das Schiff zurück und er erstattete Meldung, dass der Splitter erwischt, torpediert und pulverisiert worden war und die kleineren Steinbrocken für die Erde keine Gefahr darstellen würden.
An Bord des riesenfischhaften Raumschiffs war man zufrieden mit den Resultaten der eigenen ausgezeichneten Arbeit in diesem Teil des Sonnensystems, während man überlegte, ob man etwas vergessen hätte, und machte sich vom Asteroiden in einem langen Bogen Richtung Mutter Erde auf.
Diese strahlte wie ein heller blauer Stern, 350 Millionen Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der Sonne. Von hier aus blendete diese zwar noch, aber schon ein bisschen weniger als von der Erde. Die Sonne selbst schien vor dem Hintergrund des kosmischen Abgrunds nur als einer von Milliarden Sternen der Galaxie. Obwohl sie sehr hell war.
Seit der Entdeckung der thermonuklearen Fusion und der Erfindung darauf basierender Motoren, wurden solche Manöver zunehmend alltäglich.
Keiner seiner Kollegen hätte daran gedacht, die Arbeit von Denis zu überprüfen oder auch nur im Geringsten daran zu zweifeln. Er war ein Astronaut mit fünfzehn Jahren Erfahrung, hatte schon vier Langstreckenflüge in die Weiten des Sonnensystems hinter sich. Auf ihn konnte man sich im höchsten Maße verlassen.
Aber Denis sagte seinen Kameraden natürlich nichts davon, dass bereits Computer existierten, mit deren Hilfe man einen Asteroideneinschlag zehn Jahre im Voraus auf den Punkt genau berechnen und auch die Schäden exakt bestimmen konnte. Nur das wusste nicht jeder. Und sie wussten auch nicht, dass er den Asteroidensplitter am Leben ließ, nachdem er ihn in die richtige Richtung bewegt hatte.
Und was die Tatsache betrifft, dass man es nicht berechnen konnte, welche Regierung dann dort sein wird und ob sie überhaupt vollständig dort sein wird… völlig egal! Das Volk ist mit jeder Regierung unzufrieden! Und das immer. Besonders bei uns… Eine Regierung voller Engeln wird es nie geben.
Und genau darin lag der Kern der „Speziallösung der Präventivbeseitigungsaufgabe“.
Was? Verbrecher, sagen Sie? Richter? Moralapostel! Saubermänner! Das Volk wird ihm dafür einfach dankbar sein.
Und das ist die Hauptsache!
Es wird natürlich für Gesprächsstoff sorgen: Wer weiß denn schon, dass tatsächlich er das gemacht hat? Ein einfacher und fröhlicher Typ, ein Astronaut mit großem Erfahrungsschatz und einem Haufen Auszeichnungen? Angelehnt an ein bekanntes Lied: „Wenn vom Himmel kohlenstoffhaltige Chondrite fallen, dann bedeutet das, dass es vom Himmel so gewollt ist.“
Epilog
…Bekanntermaßen ist eine neue Regierung immer schlechter als die vorhergehende. Und in „neuen Demokratien“ ist es gewöhnlich sogar schlagartig schlechter. Es ist überraschend einfach. Selbstverständlich. Wer stimmt schon für die die Anhebung des Pensionsalters, für eine Steuer auf Wasser und Wärme? Auf Regenwasser und auf Sonnenwärme…
Und nach etwa einem halben Jahr verstand das Volk im Großen und Ganzen, was es gewählt hatte, wenn es sich vergewissert hatte, dass es sich nicht um die „eigenen“ Banditen handelte. Na und?
Man hatte eine Weile gesprochen, sich in den Küchen und Vorgärten unterhalten, dabei hatte man sich über die Regierung, den Präsidenten, das Schicksal und über sich selber dumm und zügellos aufgeregt und ging dann wieder auseinander. Zähneknirschend aus Hoffnungslosigkeit. Man darf aber nur dann Sachen schlecht reden und Zähne knirschen, wenn es niemand hört. Im Fernsehen ist deshalb immer alles wunderbar und wer hat Lust auf eine Jagd mit den „Knocheneinrenkern“ jener Behörden?
Da jede Regierung eine von Gottes Gnaden ist, (wie von den Regierungskirchenmänner behauptet), muss man sie auch durch himmlische Mächte entfernen.
Und schlussendlich erreichte der Asteroid die Erde.
Also wie? Ein Asteroid? Nur ein Splitter von ihm, vom Asteroiden, der für die Erde seit langem bereits ungefährlich geworden war.
Aber dieser wurde für die Erde durch Eintritt in die Atmosphäre, genau wie er sollte und wo er sollte, in einem genau vorgegebenen Winkel zu einem riesigen, hellen, zischenden Boliden mit einem langen Schweif aus Rauch.
Die Regierung war, gut erholt aus dem Urlaub kommend, bereits vor Ort und in voller Aufstellung – inklusive Präsident und inklusive Parlament.
Es gab einen großen sympathetischen Krater mehr auf der Erde.
Und eine Regierung weniger.
Erneut.
2. September 2010
Wien, Österreich
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