Teleskoptrilogie
Ein Mini-Roman
Die Lichtverschmutzung
Erstes Buch
Lange sanfte Wellen rollen sich schmachtend zum weichen, warmen Sand heran…
Hier ist es gut. In der Heimat, auf Allona. Es ist angenehm warm. Wodurch erklärt sich dieser heutige Urlauberzustrom: Ganze zehn am Strand! Und noch dazu ist Wochenende… Morgen werden sich alle wohl wieder in der Galaxis verstreuen, wie… Neutrinos im Universum. Und einige nicht nur in unserer, sondern sogar schon in manchen Nachbargalaxien, die wir als „unsere“ betrachten. Aus Mangel an Konkurrenten.
Eine riesige Mumr, der sich aus dem tropischen Unterholz dem Strand näherte, rückt mir fast auf die Pelle und murmelt dabei träge in die Meersbrandung. Das wilde gestreifte Tier bleibt, ohne mich zu beachten, beim Wasser stehen und es kommt zu dem Schluss, dass dies kein Trinkwasser sei. Es überlegt eine Weile: Aber könnte es sich nicht direkt hier hinlegen? Es schleppt sich jedoch weiter. Die heimische Tierwelt stört die Vernünftigen schon längst nicht mehr. Daher handelt es sich um eine wirklich vernünftige Tierwelt. Wir werden euch weder stören, noch verschmutzen, und ihr werdet uns weder stören, noch fressen. Man könnte sagen, eine friedliche Koexistenz.
Und das schon hunderttausende Jahre…
Die zärtliche, kleine Sonne im klaren blauen Himmel verbeugt sich zunehmend zum Untergang. Noch wäre Zeit. Man könnte hier noch herumliegen, jedoch… Die Faulheit wird durch das Verlangen nach astronomischen Beobachtungen überwunden.
Und die antiken Astronomen beobachteten wirklich nur von hier aus, von der Erdoberfläche?! Von hier aus ist doch praktisch nichts zu sehen. Und noch dazu mit ihrer Optik, selbst mit der adaptierten Optik… Sogar bei sehr klarer Atmosphäre. Und dennoch brachten sie es zustande, Weltbilder zu schaffen. Im Großen und Ganzen korrekte Weltbilder! Und das alles ging aus ihren eigenen Beobachtungen hervor!
Man sollten ihnen dafür goldene Denkmäler errichten!
Im Übrigen wurden diese schon errichtet…
Ich seufze und ich wechsle in die zweite „lunare“ Modifikation meines Genoms, ich öffne die Türe und trete in mein eigenes Amateur-Observatorium ein… Natürlich nicht auf Allona, sondern auf Allana.
Auf dem natürlichen Mond unseres Planeten.
* * *
Allana besaß ursprünglich eigentlich keine Atmosphäre. Jetzt besitzt sie eine. Schon seit mehreren tausenden Jahren drückt sich eine Gashülle aufgrund der Gravitation dicht gegen die Planetenoberfläche und erodiert dort in einer Höhe von eineinhalb Kilometern vollständig…
Mein Observatorium steht selbstverständlich über dieser Ebene, auf einem äquatorialen Hochplateau. Ein Häuschen im Grünen, sozusagen. Es ist natürlich nichts, verglichen mit den riesigen professionellen Observatorien, aber man kann hier schon was sehen. Mit meiner Ankunft erwachte der gesamte Apparat zum Leben, nachdem er seinen Besitzer erkannt hatte und er richtete das Teleskop unverzüglich auf ein eingespeichertes Objekt aus, das ich während meiner letzten Beobachtung für heute vorsah. Auf den holographischen Bildschirmen erscheint ein Systemchen aus zwei kleinen Sternen – ein roter und ein weißer Zwerg, die sich 97.000 Lichtjahre von hier entfernt befinden. Am Rande der Galaxis…
Hoppala! Und wo ist jetzt das Planetlein? Jenes, das um den Roten Zwerg kreist?! Gestern war es noch zu sehen und heute sollte es noch zu sehen sein. Es hat uns natürlich seine Nachtseite zugewandt, und dadurch die Phasen und folglich auch die Helligkeit verringert, aber mein Teleskop müsste das alles dennoch erkennen!
Ich überprüfe noch einmal die Ausrichtung. Jetzt wird alles klar und das Gefühl des Planetenverschwindens löst sich auf. Zum Glück: Ich sollte nicht rot werden, wenn ich zum Gespött der Kollegen werde, sowohl der Profis als auch der Amateure. Ich sollte einfach den Beobachtungsort ändern.
Ich wollte gerade die Tür öffnen, nachdem ich das Transport-Netzwerk auf Koavor eingestellt hatte, doch dann: Ein Anruf an meine Mental-Blockade. Ich öffne den Zugang. Vor mir erscheint Gaia, die Plaudertasche. Beziehungsweise ihr Psychogramm, das natürlich nur für mich sichtbar ist. Aber es ist ohnehin niemand außer mir hier, der sie sehen könnte…
„Hallo Ell! Da bist du also? Beobachtest du schon?“, schnattert sie, „Also, wie geht’s deinen Zwergen? Hör´ mal. Würdest du mir einen Stern in einer Nachbargalaxie beobachten, mmhh? Ein veränderlicher Stern, aber ich habe dir schon von ihm erzählt. Es ist eine Aufgabe für die Astrotonika. Es ist wirklich dringend. Ich gebe dir gleich die Koordinaten durch. Bitte! Danke!“
„Und was ist mit dir?“, ich tat so, als ob ich nicht verstehen würde, „Verweigern wir oder hat Papa uns das Teleskop weggenommen?“
„Och! Ich muss in einer halben Stunde auf den Kleinen aufpassen! Und jetzt ist gerade eine Finsternis dort“
„Ich verstehe nicht. Und gibt es keine Cyper-Babysitter oder Klone?!
„Dad hat sich auf den Weg gemacht, welche zu besorgen. Aber unser kleiner Schlaumeier macht die alle fertig! Er stößt jede Tür auf, er hat schon ganz Allona durchstöbert, eine Katastrophe! Nur gut, dass er noch keinen Zugang nach draußen hat…! Und was ist jetzt? Wirst du die Beobachtung machen? Bis zur Finsternis sind es noch zehn Minuten…“
„Welche Magnitude hat der Stern denn?“, frage ich interessiert.
„Nun, einunddreißig Komma fünf.“
„Es wird nicht klappen“, ich ging zum Auslöser, „Mein Teleskop wird deinen Stern nicht erfassen können.“
„Was?“, sie reißt die Augen auf, „Dein „Fünfzigkilometer“ soll das nicht schaffen? Und noch dazu hast du einen Photoelektronenvervielfacher?!! Was ist denn mit dir los???“
„Es wird hier nicht gehen. Die Lichtverschmutzung!“, erkläre ich kurz.
„Was für eine Lichtverschmutzung gibt es denn noch auf Allana?“, fährt Gaia staunend fort. Sie kapiert es noch immer nicht. „Du bist doch hinter der Atmosphäre! Veräppelst du mich?“
„Gaia, erklär´ mir mal, wie dein Objekt jetzt von Allana aus zu sehen sein soll? Hast du die Ephemeride nicht angeschaut? Also: genau bei der Scheibe von Allon. Meine Zwerge sind auch dort. Sie leuchtet hier gerade wie eine Laterne!“
„Und weiter? Sie kann ihn doch nicht anstrahlen. Tut mir leid, aber dort gibt es doch keine Streuung!“
„Für das bloße Auge nicht.“
Wie einer Einjährigen erkläre ich ihr, dass das Leuchten schwacher Objekte durch eine schwache Lichtstreuung in einer interplanetaren Umgebung und durch Spuren einer Planetenatmosphäre nahe ihrer Scheiben bei Beobachtungen mit einem Teleskop verschwinden kann, insbesondere bei so bescheidenen wie unseren Amateurteleskopen.
Und auch das Transport-Netzwerk, das um die Sonne herum errichtet wurde, trägt einen kleinen Teil zur Lichtverschmutzung bei. Es befindet sich auf Höhe des Hauptasteroidengürtels und ist sogar aus dessen Material erbaut.
„Und denk´ außerdem noch daran, wie viele Milliarden High-Tech-Einheiten direkt außerhalb unseres Planeten baumeln?“, fasse ich zusammen.
Nachdem sie alles verstanden hatte, wirkt Gaia skeptisch:
„Das hättest du gleich sagen und dir deinen Vortrag sparen können. Hältst du mich für blöd, Schlaumeier?“, für sie sind heute wohl alle Schlaumeier, „Na gut, und was sollen wir jetzt tun?“
„Du hast Glück. Ich mache mich gleich auf den Weg zu meinem Posten auf Koaovor. Dort habe ich bessere Instrumente und die Lichtverschmutzung ist dort auch kleiner. Wir werden dein Objekt von dort aus beobachten. Gegen eine kleine Gebühr. Nur ein Scherz.“
„Was für ein Scherz?“, fragt sie misstrauisch.
„Das mit der Gebühr. Egal. Wenn du willst, dass ich es noch zu deinem Stern schaffe, muss ich jetzt gehen. Tschüss!“
Ich beende das Gespräch und stelle meinen Körper auf die dritte interstellare Genom-Modifikation ein und gehe durch die Tür.
* * *
Eigentlich ist die 55-fache Entfernung von Allona zur Sonne – 55 astronomische Einheiten – noch kein interstellarer Raum, aber diese Körpermodifikation eignet sich hier besser.
Also, von hier aus zu beobachten ist wirklich ein Vergnügen. Sogar die äußeren Planeten lagen schon weit zurück und schmiegten sich an eine kleine Sonne wie Motten ans Licht. Ganz zu schweigen von den verschiedenen Sonnensphären.
Und die praktisch einzige Lichtverschmutzung stellt die Lichtstreuung im Sternenraum dar, welche man sogar bei professionellen Beobachtungen oft vernachlässigt. Ganz zu schweigen von den Amateuren. Eigentlich war mein Teleskop hier sogar noch cooler, man könnte sagen, es ist von einer observatorischen Klasse: vierhundert Kilometer Durchmesser.
Und dieses Gerät ist verständlicherweise nicht mehr an der Oberfläche von Koaovor aufgestellt, sondern schon auf eine planetozentrischen Umlaufbahn in den offenen Weltraum hinausgetragen worden. Das heißt, ich kann Brambda, dieses Systems auf den ganzen Himmel richten, 360 Grad. Im Allgemeinen ist es eine sehr angenehme Arbeit. Die Galaxis untersagt es nur, dass wir in einem solchen Teleskop versuchen, auf die Sonne zu schauen. (Auf keinen Fall ohne angemessene Schutzmittel)! Sogar aus dieser Entfernung. Außer natürlich, Sie haben vor, mit der Teleskop-Optik, die Strahlung bündelt, kleine thermische Explosionen zu erzeugen.
Einmal gab es so einen Dummy. Im Abstand von einhundert astronomischen Einheiten positionierte er sein eigenes Zweihundertkilometer-Durchmesser auf der Sonne. Er dachte, die Entfernung würde schon irgendwie ausreichend sein. Also, es war weder für das „Zweihundertkilometer-Durchmesser“, noch für den Asteroiden, noch für sein eigenes Observatorium (von dem Dummy) ausreichend. Dem Unglücksastronom passierte nichts: er schaffte es rechtzeitig in die Tür zu kommen. Nach Allana… Er verstopfte beinahe das ganze Transportnetzwerk. Was für ein Trottel.
Man muss die astronomischen Axiome lernen. Gemäß eines Axioms kann ein bestimmter Beobachter durch ein bestimmtes Sternen-Teleskop, ohne Filter, aus der Nähe, nur ein einziges Mal auf die Sonne schauen.
Und eigentlich gibt es für die Sonne und auch für die anderen Sterne spezielle Solar-Teleskope für kurze Distanzen. Sie zeigen einem jede äußere und auch einige innere Schichten des Stern und im Neutrino-Modus sogar seinen Kern.
Kurz gesagt, dort beim roten Zwerg konnte ich sowohl meinen kleinen Planeten als auch Gaias Stern während der Finsternis beobachten – mein Planet beim Roten Zwerg hatte seine Helligkeit natürlich bloß aufgrund einer kurzen Phase reduziert. Und auch die Sache mit Gaias Finsternis gelang ziemlich gut. Der Bericht war schon gesendet, jetzt musste sie nur noch auf das Lob der Astrotonika warten. Ich beschloss einstweilen, noch nicht zum Teleskop, direkt zum Okular, hin zu klettern. Das Beobachten vom Observatoriumsboden aus über die holographischen Monitore, die Bilder von den Teleskopen übertrugen, war eine Aufwärmübung. Hinter den Beobachtungsfenstern breitete sich die atmosphärenlose, verkraterte und durch die kosmische Kälte erstarrte Wüste des Planten aus – und darüber der stellare Abgrund…
Ich hatte es mir gerade erst gemütlich eingerichtet und versüßte mir die Beobachtung mit einer Tasse Tee, als es erneut klingelt. Dieses Mal ist es Mama.
„Nun, du kannst mir gratulieren!“, sagt sie, „Man hat mich immerhin zur Linsenreinigung beordert.“
„Was, wirklich zur Schwarzen Witwe?“, ich spitze die Ohren und spüre, wie meine Augen zu leuchten beginnen.
„Zu ihr, meinem Herzchen. In einer Stunde werde ich im vierten M-Hof sein.“
„Und ich?“
„Und du bist hier für den Senior. Zwei oder drei Wochen. Wirf ein Auge auf deinen Bruder. Den neusten Meldungen nach schlendert er irgendwo im Zentrum umher. Und morgen hat er einen Test über Modifikationsbiologie. Schau, dass du da fertig wirst.“
„Ähhh, ich habe doch gerade erst mit den Beobachtungen begonnen“, murre ich.
„Deine Klone werden die Beobachtungen fertig machen. Mach schon! Du bist ja wie ein kleines Kind, Elliot. Verstehst du das etwa nicht?“
„Im Zentrum, sagst du? Dorthin ist das Netz nicht ausgebaut…“, schnaufe ich. Weil ich aber kein kleines Kind bin, spreche ich die Idee nicht einmal aus, auch weil ich weiß, dass ich selber darauf antworten müsste: „Aber können nicht einfach meine Klone hinter ihm herjagen?!“. Wenn Gaias Bruder sie schon „tötet“, kann man sich selber ausmalen, was mein Bruder mit ihnen machen wird. Er programmiert sie um und Schluss!
Und er zwingt sie, seinen eigenen Test zu schreiben.
„Ist schon gut“, beruhigt Mama, „Das Transportnetzwerk ist das geringste Problem: Du erreichst es auf der Sternenstrahl-Metro. Der Transfer dauert eine halbe Stunde. Hast du eine Fahrkarte? Und nimm noch eine mit. Für diesen Reisenden.“
„Einverstanden“, ich ergebe mich meinem Schicksal, „Wir werden alles erledigen. Mach´ dir keine Sorgen und arbeite ruhig. Eins noch. Sei dort vorsichtig!“
„Danke für die Unterstützung. Ich habe nie daran gezweifelt. Und eigentlich werden dort die Cyborgs alles tun. Ich werde das nur aus der Entfernung verwalten. Nun gut, tschüss, Ellileinchen. Küsschen und ich melde mich noch.“
Sie erlischt und ich werde zur nächsten Station der Sternen-Metro am Rande des Sonnensystems geschickt. Ich hatte das Gefühl, dass mir die Genom-Modifikation, die ich ausgewählt hatte, schon bald nützlich sein würde…
Jene Störungen von astronomischen Beobachtungen, die dadurch entstehen, dass ein künstliches oder sonstiges Licht das Licht eines beobachteten Objekts überlagert, nennt man Lichtverschmutzung. Wie heißen dann die Störungen meiner Beobachtungen? Wirklich interessant! Mutterverschmutzung? Bruderverschmutzung?
Noch dazu muss ich ihn dort heraus fischen– dort im Zentrum..!
Im Zentrum der Galaxis.
Die Reinigung der Linsen
Zweites Buch
Eigentlich hätte man diese Operation auch die „Reinigung der Linse“ nennen können. Einer Linse. Aber ich stimme zu, dass die „Reinigung der Linsen“ irgendwie solider, irgendwie epischer klingt…
Im vierten M-Hof auf einem intergalaktischen Raumhafen, bei einem Sternenhaufen, der dem lokalen Arm am nächsten war, herrschte geschäftiges Treiben. Intergalaktische Portale waren in der letzten Zeit ohnehin nie wirklich untätig: Dienstreisen, verschiedenste Kreuzfahrten… Quer durch die Gruppen der Galaxien. Die Leute wollten vor allem wieder „ins Ausland“ um dort Immobilien zu erwerben: Es gibt dort noch verschiedene Sterne mit herrenlosen Planeten…
Und es gibt dort noch eine Sache!
Eine Riesenexpedition zur Schwarze Witwe.
Es versteht sich von selbst, dass dorthin noch keine Metro hin verlegt wurde, ganz zu schweigen von anderen Transportnetzwerken. Immerhin waren es doch zwanzig Megaparsec. Aber Astronomen verfügen im Allgemeinen über eine Vorliebe, zu den entlegendsten Orten zu reisen. Zivilisation stört sie scheinbar! Im vorliegenden Fall hatte er keine Wahl. Er muss daher mit den guten alten Hypersternfliegern hinkommen, beziehungsweise mit den Hypergalaxiefliegern, um genauer zu sein. Dafür mit dem Komfort einer intergalaktischen Stadt. Kurz gesagt erreichte man das Ziel nach zwei Flugtagen! Und wir machten uns mit unserem Fall halbwegs vertraut. Mit dem Fall der Schwarzen Witwe sozusagen.
Die Vorgeschichte ist eigentlich recht simple: Es bildete sich irgendwann einmal ein Grüppchen von etwa vier oder fünf verschiedenen Galaxien.
Sie umkreisten einander, kamen sich dabei seit ein paar Milliarden Jahren näher, wurden durch Supernovas immer wieder erleuchtet, verzerrten sich durch die Gezeiten-Schwerkraft und zerstreuten ihre Sterne mit „Sternenbrücken“ quer durchs Universum und verschmolzen sich dabei zu einer gigantischen Einhundert-Kiloparseks-Sternenkugel – zu einer ellipsenförmigen Galaxie.
Ein banales Beispiel des sogenannten Galaxienkannibalismus. Es wäre nicht so tragisch, wenn die Schwarzen Löcher, die sich in den Zentren der ursprünglichen Galaxien befanden und ohnehin schon supermassiv waren, nicht noch zu einem, massereicheren Schwarzen-Loch-Ungeheuer verschmolzen wären: Mit einer Masse von zwanzig Milliarden Sonnen. Und das Gebiet, aus dem sogar schon kein Licht mehr entkommt – der Ereignishorizont des Schwarzen Loches – hat die Größe des Sonnensystems. Inklusive einem Teil der äußeren Kometenwolke.
Man hat es offensichtlich mit einem fertigen Quasar zu tun. Der Schrecken und der Fluch des Universums, ein Monster, das eine umgebende Galaxie komplett verschlingt und dadurch wie tausend Galaxien leuchtet. Durch seine Strahlung vernichtet er alles und jeden bis hin zu den benachbarten Sternensystemen. Aber während der Verschmelzung der primären Schwarzen Löcher vollzog sich ein Effekt, der der Situation eine Ungewöhnlichkeit verlieh.
Der Graviationsstoß oder „Kick“, wie er in der Astronomie genannt wird.
Er war derartig mächtig, dass er sogar dieses erzeugte monströse Schwarze Loch aus dem Zentrum der neuen Super-Galaxie in den galaxienahen Raum warf, wo es verhältnismäßig wenig Stoffen gab, die ins Schwarze Loch fielen und den Quasar dadurch ernährt hätten.
Ein Quasar kam auf diese Weise nicht zustande. Eine Schwarze Witwe kam zustande. So wurde das nahgalaktische Schwarze Loch später genannt.
Nein, natürlich wird der Quasar selbst dann noch strahlen, wenn das Schwarze Loch ins Zentrum seiner Galaxie zurückkehrt und sich allmählich „setzt“ oder eine Galaxie zu sich zieht.
Aber wann wird das schon sein! In der Zwischenzeit gibt es noch ein paar Milliarden Jahre ruhigen Lebens und galaktischer Sicherheit. Und für uns ein Observatorium, das mit einem gigantischen Überteleskop ausgestaltet ist, das den „herrenlosen“ Quasar als eine hypergroßen Sammellinse nutzt. Durch die Gravitation, selbstverständlich. Teleskope können gar nicht groß genug sein.
Und dann, als ich ihn einmal zufällig bei einer Tür des Interschiffnetzwerks traf, hat der Projektleiter, Professor Brampd – „Professor Brampd höchstpersönlich“, wie mein Älterer sagen würde – mir gegenüber fallen lassen: „Und welche Teleskope haben wir, hochverehrte Naissia? Nun, maximal Zehn-Fünfzehner Tobse im Durchmesser.“ Tobs, das bedeutet bei denen tausend Kilometer. „Und noch dazu die zusammengesetzten. Man zeigt den Planeten in fünf Megaparsec. Und nicht einmal den kleinsten. Jeder, der will, kann dort hinfliegen! Unsere Teleskope werden eigentlich nur von Geschichtsstudenten verwendet. Aber ein anderes Thema ist die Schwarze Witwe..!“
Die Schwarze Witwe wurde durch schwache Radio-, Röntgen- und Gammastrahlen entdeckt, die nahe von der Galaxis Dzhesz-150 ausgehen. Es ist verständlich, dass dies die übrige Strahlung ist, die durch den Sturz ins Schwarze Loch entsteht – Gasreste aus dem umliegenden Raum. Man könnte schon sagen: aus dem intergalaktischen Raum. Als die Gebietsgröße, aus der die Strahlung emittiert wird, grob ausgerechnet wurde, begannen alle Astronomen und Akademiker allmählich zu sabbern.
Natürlich! Denn schon die einfachsten Formeln zur Berechnung des Teleskop-Fernrohrs ergeben, dass dieses „Linsenchen“ in der Lage ist, die achtzigste Sternenmagnitude zu zeigen und das schon bei einer zehn hoch fünfzig- bis sechzigfachen Vergrößerung!
Für diejenigen, die keine Spezialisten auf dem Gebiet der Astronomie sind: ein Teleskop mit einer solchen Linse zeigt ohne weiteres auch den Rand des sichtbaren Universums und jeden Stern und Planetoiden, der dort in der Nähe ist. Diese existieren dort schon lange nicht mehr.
Der Haken an der Sache ist nur, dass sogar die bloßen Strahlenreste des Gases, die ins Loch sinken, ausreichen, um jedes Observatorium in der Nähe unter sich zu begraben. Und auch unter einen, sich mit beinahe Lichtgeschwindigkeit bewegenden, (relativistischen) Plasmastrahl zu geraten, ist, wie Sie sich denken können, auch nicht allzu angenehm.
Was bedeutet das?
Das ist richtig: den „lochnahen“ Bereich befreit man vorzugsweise vom Gas. Denn man braucht nicht darauf warten, dass es schlussendlich von alleine verschwindet. Es verschwindet niemals: So ein Quasar, der das ganze Gas im Universum in sich aufnimmt, wurde noch nicht geboren!
Und das ist die ganze Vorgeschichte dieser Frage. Und auch die allgemeine Aufgabenstellung der Operation „Reinigung der Linsen“. Sie läuft im Rahmen eines Projekts zur Errichtung eines Observatoriums auf der Schwarzen Witwe. Die Namensgebung der Operation hat nicht lange gedauert.
Jetzt liegt es aber an ihrer Umsetzung.
* * *
Und was für Angewohnheiten haben Schwarze Löcher? In-Sich-Gas-Einzusaugen durch Akkretionsscheiben!
Nun, ich verstehe es noch, wenn irgendein Sternchen um ein Loch kreist, welches ihn schlussendlich heranzieht und ihn wie ein Garn aufwickelt. Das gilt auch, wenn um das Schwarze Loch nur galaxienahes Gas kreist!
Das Gas könnte scheinbar ruhig auf direktem Weg ins Schwarze Loch fallen und dabei den Kosmos nicht durch unnötige Strahlung verunreinigen. Aber nein! Es ermüdet gemäß den Gesetzen des Drehimpulses ohnehin, während es sich im Schwarzen Loch spiralförmig aufwickelt, erwärmt sich dabei durch gasdynamische Reibung auf eine nukleare Temperatur, geht in Plasma über und strahlt daher gleichzeitig Röntgen- und Gammastrahlen aus. So als ob es zeigen und dem Universum erzählen wolle, dass es ins Schwarze Loch gefallen sei. Leben Sie wohl und halten Sie mich in guter Erinnerung!
Sollte uns das übrigens verärgern? Oft verraten sich Schwarze Löcher nur aufgrund dieses Anzeichens. Und aufgrund dessen geraten wir nicht in sie hinein. Und außerdem wurde genau auf diese Weise die Witwe aufgespürt. Ein Geschenk der Natur an uns. Diese Situation beim „Reinigen der Linsen“ erzeugt nur ein gewisses Unbehagen.
Aber alles hat seinen Preis…
…Unsere „Reinigung“ begann nun schon vor zwei Stunden. Die Schiffe sind auf Position: in einer sicheren Entfernung, in einer Lichtdekade um das Objekt herum. Auf den Panoramabildschirmen wird das umliegende Weltall durch einen nahen, bewegungslosen gigantischen Ball aus Sternen– Dzhezs-150 – und durch die trüben Flecken anderer fernerer Galaxien rot erleuchtet. Jene Galaxien, darunter auch unsere Metropole – die Galaxis – werden durch die Ausdehnung des Universums rot, so als ob sie sich schämen würden, und verschwinden. Eine unansehnliche, rosa Nebelwolke in einer unvorteilhaften Perspektive: Sie scheint durch die milchige Trübung eines der dichten Sternenhaufen von Dzhezs-150. Und das „Objekt“ erscheint auf den Bildschirmen des Schiffshauptteleskops. Ein breiter, trüber Ring aus ionisiertem Gas, der ein riesiges Schwarzes Loch umgibt, dessen Hintergrund zahlreiche Galaxien bilden. Allmählich stürzt es selbst dorthin hinein.
Es ist natürlich keine Live-Übertragung, sondern ein um zehn Tage verzögertes Bild. Als dort noch keine Reinigung durchgeführt wurde. Das Bild wird durch das Licht verzögert, das sich zu langsam ausbreitet. Eine Live-Übertragung gibt es auf völlig anderen Monitoren: ein Signal von automatischen Kontrollsonden, die unmittelbar in der Nähe des Schwazen Lochs hängen. Genauer gesagt fliegen sie mit Unterlichtgeschwindigkeit um das Loch herum, beschleunigen durch ihre Hypergraviation und spannen hinter sich ein Netz aus inversiven Gravitakonzentraten. Das Netz dieser ein Meter langen Stielmonopole umhüllt die gesamte Schwarze Witwe, während es sich von ihren Polen zur Akkretionscheibe bewegt. Diese Ringscheibe sieht allerdings überhaupt nicht wie eine Scheibe aus, sondern wie ein riesiger breitkrempiger Hut: Auf diese Weise wird ihr Licht gebrochen und in einer riesigen Schwerkraftfalle verzerrt.
Es stimmt also: Die Galaxien müssen sich einfach nur vor diesen Monstern in Sicherheit bringen.
„Es wird überaus heiß“, wird über das Echt-Zeit-Panel gemeldet. Es wird etwas verzögert gemeldet. Von Deg, meinem Cyborg, dem Verwalter der Roboter unmittelbar auf dem Objekt, auf der Stützpunktsonde.
„Der Grenzwert wird bereits um eine Million überschritten. Auf der Scheibe wird es ungemütlich…“
Eine lange Pause. Für uns, die außenstehenden Beobachter, ist es natürlich eine lange Pause. Für ihn, der dem Ereignishorizont so nahe ist, vergeht kaum eine Sekunde. Nichts zu machen: So lautet die allgemeine Relativitätstheorie für starke Gravitationsfelder.
„Schweig doch nicht, Deg!“, äußere ich einen Wunsch, „Sag etwas!“
Aber es gibt nichts zu sagen. Wenn alles seinen gewohnten Gang nimmt. Wie vorgesehen. Aber ich wollte unbedingt meine Mannschaft hören. Auf diesem „Objekt“..!
„Das erste Mal beim Reinigen?“, fragt mich der Projektleiter, während er neben mir steht. Er spricht natürlich nicht von mir, sondern von meinen Cyborgs.
„Auf diesem Objekt ist es das erste Mal“, antworte ich, „Er hat mit mir bisher nur das Zentrum der Galaxis gereinigt.“
„Ja“, nickt der Astronom, „der Maßstab ist etwas kleiner, aber im Prinzip ist es das gleiche…“
„Was soll das heißen `kleiner´. Dafür gibt es dort mehr Gas. Beziehungsweise gab es mehr. Und auch mehr Sterne.“
„Und was soll ich sagen?“, höre ich schlussendlich über das Echt-Zeit-Panel.
„Erzähl mir irgendetwas Interessantes“, flüstere ich dem Roboter zu, „etwas zum Thema Teleskope.“
„Also, was für Teleskope haben wir denn?“, begann der Roboter, „Nun, maximal Zehn-Fünfzehner Tobse im Durchmesser. Und noch dazu die zusammengesetzten…“
Ja, irgendwo hatte ich das schon gehört. Ich schaue den astronomischen Leiter schief an. Dieser grinst nur.
„Könntest du, bitte, den ersten Absatz überspringen?“
„Ok“, willigte Deg bereitwillig ein, „Also dann. Wozu brauchen wir eigentlich Teleskope? Wir, eine Zivilisation der dritten Art, die über die Ressourcen ihrer Galaxis verfügt, die die fundamentalsten Geheimnisse des Universum gelüftet hat, Geheimnisse der Materie, des Raums und der Zeit, die gelernt hat, alle Möglichkeiten des eigenen Organismus, des Denkens und auch der eigenen Evolution zu steuern. Eine Rasse, die praktisch jedes beliebige Objekt im Weltall erreichen kann und es buchstäblich von der Stelle bewegen kann. Wozu braucht eine solche Rasse Superteleskope, die bloß eine ferne und oft kosmologische Vergangenheit von Objekten des Universums zeigen?“
Das klingt alles irgendwie vertraut. Ich glaube, das ist mir auch schon irgendwo untergekommen. Die Schiffsbesatzung auf der Brücke ist ganz Ohr. Alle wollen es wissen: Wozu eigentlich?
„Diese Frage ist, könnte man sagen, äußerst spießbürgerlich“, fuhr der „Vortragende“ in der Zwischenzeit fort, „und man könnte auch ruhig sagen, irgendwie wild. Selbst ein weniger gebildetes Mitglied unserer Gesellschaft kennt die Antwort darauf.“
Unser Projektleiter schaut ungeduldig zur Decke. Und was ist jetzt die Antwort?
„…Die Vergangenheit zu zeigen, das ist doch eine natürliche Eigenschaft von Teleskopen. Und selbst das hat schon eine riesige wissenschaftliche Bedeutung. Es erlaubt uns, das Universum im Ganzen, sowie jedes einzelne Objekt darin und deren Entwicklungen zu erforschen. Deren Evolution von ihrer Entstehung bis zum heutigen Tag. Zum Teil sah man genau deswegen von einer umfassenden Entwicklung und Verwendung von sogenannten Zeitmaschinen ab. Und warum das alles? Beispielsweise bedeutet ein Blick auf Allon mit einer Entfernung von tausend Lichtjahren automatisch einen Blick 1000 Jahre zurück in seine Vergangenheit. Richten Sie ihr Teleskop auf einen Planeten, der eine Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist, sehen Sie ihn, wie er vor einer Millionen Jahre ausgesehen hat. Eine Universal-Zeitmaschine! Und dabei besteht keinerlei Gefahr, die Vergangenheit zu stören. Man schaut doch bloß!“
Also Deg schildert hier „kurz“ die moralisch-ethischen und juristischen Aspekte dieser Vergangenheitsuntersuchung…
Sobald eine Zivilisation diese Möglichkeit erlangt hat, begannen viele, man könnte sagen, sich bei dem Gedanken unwohl zu fühlen, dass man sie aus der Zukunft beobachten kann. Vielleicht sogar sich selber. Höchstpersönlich. Verletzung der Privatsphäre, so nennt man das! Hier gibt es Paradoxien der Psychologie: Jahrhundertelang wollte man, dass jemand „von oben herab“ auf uns aufpasst und als es dazu kam, folgte sofort: „So aber nicht!“
Danach wurden verschiedene Regierungsentscheidungen getroffen, die die Sphären solcher „Geschichtsbeobach-tungen“ klar beschränkten und nur mit einer strengen Begründung ihre Notwendigkeit im Einzelfall zuließen.
„Aber die Hauptbedeutung eines Teleskops“, fuhr er nach einer kurzen Erzählung über die aktuelle Lage am Objekt fort, „ist, dass sie, die Teleskope, es uns erlauben, die uralte Frage zu beantworten: Sind wir alleine im Universum?“
„Also, solche wie ihr sind bestimmt allein“, brummte der Astronomen in sich hinein.
…„Falls nicht jetzt, so gab es doch zumindest noch in vergangenen kosmologischen Epochen vernünftige Wesen? Jene Epochen des Universums, die mehr als eine Milliarde Jahre zurück liegen, entsprechen einer Entfernung, die unsere Expeditionen noch nicht erreicht haben und wohin nur die modernsten und leistungsstärksten Teleskope blicken können.“
Die Steuerzentrale applaudierte.
„Ist das Applaus?“, Deg war verwirrt.
„Schenk´ dem keine Aufmerksamkeit“, sage ich. Das fehlt gerade noch, dass er sich was darauf einbildet! „Erzähl´ lieber, wie schaut es bei dir aus? Dauert es noch lange bis zur Fusion?“
Nach seiner Frage – „Nach wessen Zeit?“ – und nach meiner natürlichen Reaktion darauf meldet er ausführlich und detailreich:
„Bis die Netzhälften-Monopole zusammenkommen, muss ich hier noch ungefähr eine Stunde schwitzen. Über die Echt-Zeit-Verbindung werdet ihr darüber in etwa 20 Stunden erfahren.
Darüber, dass dieses Schwarze Loch seine Akkretionsscheibe eingebüßt hat. Und zur nächstgelegenen Galaxien wird es das Licht erst in 360.000 Jahre schaffen – und bis zu unserer Galaxis erst in 65.200.000 Jahren.
„Schlaumeier“, kommentiert der Astronom.
Also unterhielt mein Cyborg das „Publikum“ die nächsten zwanzig Stunden. Dabei beobachtete und kontrollierte er den ultrasensiblen Prozess der Kraftfelderschaltung der magnetischen Stielmonopole, der schlussendlich eine Antigravitations-Elementarteilchenbildungs-Kettenreaktion startet.
Oder dunkle Energie, wie sie allgemein genannt wird. Er beobachtete das alles unter diesen extrem verzerrten und zerknitterten Bedingungen des Raums, der Zeit und der Materie…
Es gibt welche, die meine Arbeitsmethoden nicht gutheißen.
Aber diese „Welche“ werden auch nicht in schwarze Löcher hineinkriechen.
Und als bei uns nur noch eine Minute bis zur Netzschaltung auf der Akkretionsscheibe übrig blieb, sagt er noch:
„Also, jetzt ist unsere Schwarze Witwe wirklich verwitwet: Nicht einmal das Gas um sie herum ist geblieben.“
Er sollte Bücher schreiben und nicht Müll aufräumen.
„Lass dich dort nicht zur Poesie hinreißen“, meine ich, „Das Wichtigste ist, spring´ rechtzeitig in die Tür hinein.“
Es ist klar, dass für alle möglichen Beobachtungssonden unserer „Reinigungsaktion“ nur ein One-Way-Ticket gelöst worden ist. Nicht jedoch für meine Cyborgs, denn ich brauche sie noch.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Herrin“, antwortet er, „Ich weiß, dass Sie mich noch brauchen!“
Warum machen wir sie uns eigentlich so ähnlich…?
Nach diesen endlosen Minuten startet er schließlich den Countdown. Und dann, als die Stiel-Felder geschlossen wurden, nachdem sie jene Gasscheibe „unten“ und „oben“ durchschlagen hatten, die sich unmittelbar neben dem Schwarzen Loch befand, geschah es… Nun eigentlich geschieht hier, in unserer Entfernung zum Objekt, noch nichts.
Es wird in zehn Tagen geschehen, wenn das Licht gewaltiger Gammablitze anrollt, mit einer Energie von einer Millionen Supernovas und dahinter eine Welle aus kosmischen Strahlen: Teilchenströme, Gasfetzen aus der Nähe des Loches, die sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegen und dabei wie die Galaxien vor der Schwarzen Witwe fliehen.
Und währenddessen glühte dieser Gasring immer noch auf den Teleskopbildern schwach zwischen den Galaxien und floss dabei ins Nirgendwo ab.
Nur dank der Sonden und der Echt-Zeit-Verbindung erfahren wir sofort, dass alles nach Plan gelaufen war. Die letzten Daten und Bilder ihres Lebens zeigen, wie ein Schwarzes Loch damit beginnt, alles, was sich in seiner Nähe befindet, wegzustoßen, so als ob es genug davon hätte, all das anzuziehen. Dabei macht es das zweimal stärker als das Heranziehen eine Sekunde zuvor.
Diesen Anti-Schwerkraft-Effekt erzeugten die, in den Stielen eingeschlossenen, Gravitationskonzentrate, die in Sekundenbruchteilen „aufblühten“ und dadurch die Gravitation des Loches umkehrten.
Nicht für lange, natürlich! Aber es reichte für das umgebene Plasma im Bereich von mehreren hundert Milliarden Kilometern… Vor allem, da die „Dunkle Energie“ – eine Antigravitation des Vakuums selbst – die Hauptarbeit leistete:
So als ob man das ganze Universum in einem Punkt konzentrieren würde.
Der Raum kochte und dabei zerschmetterte, zerriss und zerstreute er jegliche Materie. Sogar die Elementarteilchen. Eine Art „Big Rip“ in Miniatur. Wir werden wohl kaum darauf warten, bis der an uns heranrollt. Obwohl er in dieser Entfernung schon zerstreut und daher völlig ungefährlich für unserer Schiffe sein sollte.
Im Grunde genommen wird es bloß ein gewaltiger Gamma-Blitz sein… Danach wird im Blickfeld der Teleskope kein Gaskreis mehr, sondern nur ein rundes schwarzes Loch im Kosmos zu sehen sein … Schwärzer als schwarz.
Kurzum, nach ein paar Sekunden war alles vorbei. Angesichts des Ausbruchs von einer Millionen Supernovas war das nicht mehr bloß eine „Reinigung der Linsen“, sondern gleich eine „Antireflexbeschichtung“, ein Begriff der Teleskophersteller.
„Deg“, ich spreche sehr vorsichtig ins Echt-Zeit-Panel, „Deg! Wo bist du?“
Alle meine dreißig Cyborgs waren schon hier, nur mein wichtigster fehlte.
„Deg, hörst du mich? Deg!“
Stille. Die Stimmung wurde beklommen. Ich hätte den Jungs telepathieren sollen, denke ich resigniert. Der Kleine gehorchte überhaupt nicht mehr. Er schrieb seinen Biologietest mit Mühe und Not…
„Schade“, sagt der Astronom, „Er war amüsant.“
Er beruhigt mich auf diese Art. Er denkt es zumindest. Und ich erwidere:
„Hetzen Sie nicht, Herr Professor!“
Den Sinn meiner Antwort wird er erst in etwa vierzig Stunden begreifen, wenn uns die Echt-Zeit-Übertragung erreichen wird:
„Also holt mich jemand ab? Ich baumle hier in der Nähe herum, im offenen Kosmos. Die Tür öffnete sich wieder nicht richtig…“
Insgesamt werden die Astronomen in den nächsten 1.500 Jahren Ruhe haben… für ihre Beobachtungen. Und dann, wenn interstellares und intergalaktisches Gas der Schwarzen Witwe erneut näher kommt, werden sie uns wieder rufen müssen. Oder solche wie uns.
Wenn sie es bis dahin noch nicht selbst gelernt haben, ihre „Linsen“ zu reinigen.
Das erste Licht
Drittes Buch
Wir standen bei dem „Okular“ des grandiosesten astronomischen Instruments, das die Wissenschaft je gesehen hat und wir wussten nicht, was wir damit tun sollten.
Mit diesem erworbenen Wissen.
Und worauf warteten Sie? Auf einen, vor Zivilisationen wimmelnden Kosmos? Zumindest auf eine Zivilisation, die so ist wie unsere? Die Natur, die stets zu dem energetisch vorteilhaftesten – niedrigsten Zustand strebt, wird kaum so großzügig sein und Lust auf noch so einen kolossalen Ausflug aus ihrem Gleichgewicht bekommen…
Es käme einem unglaublichen Zufall von Millionen unwahrscheinlicher Faktoren gleich, dem Passieren einer unendlich dünnen Linie…
Aber, wissen Sie, es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen der Annahme des Allerschlimmsten und dem Wissen darüber.
Wissen ist kompromisslos. Es zieht einen Strich. Es hinterlässt kein „Vielleicht!“.
Hier geriet ich mit meinem Assistenten irgendwie in einen Streit. Keinen wissenschaftlichen. Er bewies mir, dass, sagen wir, vernünftige Wesen einander nicht töten können. Höchstens wegen einer unterschiedlichen Hautfarbe oder anderer Ansichten, dass du nicht an einen Gott glaubst oder nicht an „den einen“ Gott glaubst??? Oder – das ist absolut lächerlich – wegen Geld, wegen Macht? Nein. Nein und nochmals nein! Das ist unvorstellbar, unglaublich, barbarisch! Es ist einfach unmöglich!
Dann erinnerte ich ihn an das „Dunkle Jahrtausend“ in der Geschichte unserer eigenen Rasse. Dort gab es… nun, eigentlich gab es dort kaum etwas nicht.
Als Spezies befanden wir uns schon an der Kippe des Aussterbens. Bei dem Gedanken daran, wie wir das durchstanden, überstanden und überlebt haben, stehen einem die Haare zu Berge. Aber wir sind durchgekommen..!
„Das war vor einer Million Jahren!“, konterte er, „Damals waren wir noch nicht vernünftig.“
„Vernünftig waren wir nicht“, sage ich, „aber wir bauten Bomben. Atombomben. Diese konnten übrigens schon damals das ganze Leben vom Angesicht unserer Allona ausradieren. Mehrmals hintereinander…“
Dieses Gespräch dauerte noch bis zum „Ersten Licht“ unseres neuen Teleskops.
Aber das war alles nur Geschwätz.
Eigentlich sind Gravitationslinsen für astronomische Beobachtungen kaum geeignet, weil diese Objekte das Licht mit ihrer starken Gravitation brechen. Schwarze Löcher sind da keine Ausnahme.
Niemand würde beginnen, sich mit irgendeiner „normalen“ Sternenmasse, mit einem zehn Kilometer großen Loch auseinanderzusetzen. Aber die Schwarze Witwe… Das ist schon was! Ein Phänomen! Ein Geschenk, an dem man nicht einfach vorbeigehen durfte! Man musste sie nur ein wenig „aufräumen“ und „tunen“, wie die Jugend sagen würde, damit dieses „Linsenchen“ wirklich begann, Licht zu sammeln und voilà – Sie erhalten ein Teleskop, um Planeten am Ende des Universums zu zeigen.
Diese sieht man jetzt dort und dann, wo sie eigentlich entstanden sind. Die allerersten Planeten im Universum.
Wir haben also „getunt“…
Eigentlich war es meine Idee, die Gravitation des Schwarzen Loches derart zu korrigieren, dass seine Gravitation mit zunehmender Entfernung vom Loch nicht abnahm, sondern anwuchs. Das heißt, sie umzukehren. Natürlich nicht überall! Soweit sind wir nicht. Die Umkehrung fand nur auf einer bestimmten Fläche und in einem bestimmten Entfernungsintervall vom Objekt statt. Dafür sorgten die gleichen Gravitationskonzentrate, die auch das Schwarze Loch kettenförmig umgaben.
Man schaffte es, dass das Licht, das durch die Fläche ihrer Umlaufbahnen und durch die gebrochene Gravitation des Schwarzen Loches drang, sich tatsächlich in dem Punkt sammelte, wo das „Okular“ platziert werden musste und voilà – Sie sehen jeden Kieselstein auf den Planetenoberflächen naher Sterne. Oder, wie ich schon sagte, die Planten am Rande des Universums.
Im Übrigen werde ich hier nicht auf die technischen Details dieses Teleskopprojektes eingehen – dieses Thema behandle ich in einem völlig anderen meiner Artikel.
Das Ergebnis unserer Arbeit ist nun das wichtigste: ein noch nie dagewesenes Teleskop mit einem Durchmesser von ein paar hundert Astronomischen Einheiten. In dessen Zentrum befindet sich natürlich die Schwarze Witwe mit einer hängenden Raumstation, einer ganzen Stadt, die diesem Refraktor sozusagen als Okularzelle dient. Hängend, weil sie sich nicht nur entlang einer Umlaufbahn um ein nahes Neigungszentrum bewegen, sondern auch unbeweglich über ihm hängen bleiben kann. Im vorliegenden Fall ist das Hängengleiben in dem Fokuspunkt einer gigantischen Gravitationslinse gemeint. Dieser befindet sich vom „Objektiv“ – der Schwarzen Witwe – in einer Entfernung von mehreren Tausend Umlaufbahndurchmessern Allonas.
Dem, eigentlich nicht kleinen, Teleskop gelang es…
Nun, der feierliche Moment des Ersten Lichts. So nennt man die ersten astronomischen Beobachtungen mit einem neuen Teleskop. Als Test, natürlich. Dessen Ziel ist vor allem die Bestimmung der Qualität und der Möglichkeiten jenes neuen Instruments… Jedoch liefern uns diese ersten Testbeobachtungen in der Regel auch wissenschaftliche Ergebnisse und neues Wissen, sodass sie uns nicht selten einen neuen Blick eröffnen.
Aufs Universum.
Und diese Testbeobachtungen ziehen einen Schlussstrich unter unsere Träume und Hoffnungen…
* * *
Alles geriet erneut in unmerkliche, aber unvermeidbare Bewegung. Die räumliche Ausrichtung der Umlaufbahnebene jener Gravitationskonzentrate veränderte sich allmählich, und die „okulare“ Stationenstadt begann sich zu verschieben, weil sie dem Fokus der Graviationslinse folgte… Das Riesen-Teleskop drehte sich allmählich in Richtung unserer Galaxis…
…Am Anfang schauten wir auf ein absolut einfaches, erstes Testobjekt – auf einen Stern, der aus unserer Sicht einer der entferntesten jener Galaxie Dzhezs-150 war. Insgesamt so um die vierhundert Tausend Lichtjahre. Unsere Stimmung war da noch gut und die Beobachtungen dieses orangen Zwerges, der uns durch seine Helligkeit blendete, verbesserte unsere Laune weiter. Durch den gezeigten Detailreichtum auf dieser kleinen Sonne und jedes Planetoiden um sie herum, zeigte unser neues Superteleskop seine enorme Macht.
Und dann ging man auf jene Objekte über, für die dieses Astronomiegerät tatsächlich entwickelt wurde: Bewohnten-Welten-Kandidaten, welche im Universum weit entfernt von jenen Gebieten liegen, die von unserer Zivilisation bevölkert werden. Es waren Epochen des Universums, die mehr als eine Milliarde Jahre zurücklagen. Aus diesen erhielten unsere äußeren Observatorien nur undeutliche Signale, die künstlichen Signalen ähnlich waren. Aber unser Teleskop zeigte auch diese Welten im Detail! Unsere Stimmung änderte sich jedoch schlagartig…
Nein, natürlich hatten wir nicht erwarten, dort sofort unsere modernen Brüder im Geiste zu sehen. Wir waren uns alle bewusst, dass selbst, wenn wir irgendeine Rasse entdecken würden, es sich dabei um eine Phantom-Zivilisation gehandelt hätte: Kreaturen, die schon längst verschwunden waren. Bestenfalls die tiefe Vergangenheit einer modernen Zivilisation. Und jetzt verstehe ich, warum wir nirgends Spuren dieser Rassen angetroffen haben – in ihrer fernen Zukunft. Sie haben einfach keine Zukunft. Und hatte auch keine.
Verwüstete, desolate Welten mit jämmerlichen Spuren von vernünftigem Wirken… Anscheinend haben sie es nicht bis zur Zivilisation der zweiten Art gebracht – eine Rasse, die gelernt hat, die Ressourcen des eigenen heimatlichen Sonnensystems zu nutzen.
Grundsätzlich hörte alles bei der ersten Art auf – die Nutzung ausschließlich des eigenen Planeten. Oder es hörte sogar früher auf.
Offensichtlich wurden einige von ihnen durch Naturkatastrophen getötet, noch bevor sie sich rechtzeitig auf zumindest einen Ersatzplaneten niederlassen konnten. Asteroiden, die Instabilität der eigenen Sonne, der Klimawandel, ein naher Gammaimpuls… und was die anderen betrifft…
Von zwei jener Welten, die wir beobachteten, bündelte die gigantische Gravitationslinse unseres Teleskops nicht nur deren Licht, sonders auch ein gemeinsames Gedankenfeld der Planetenbewohner. Gewalt. Gewalt, Obskurität, Schmerz und Verzweiflung – genau das fühlte ich hauptsächlich, während das Teleskop auf sie gerichtet war. Dafür musste man die Sprache nicht beherrschen. Nach oben in den leeren Himmel gerichtete Hilferufe… die zu uns gelangen… Aber wir konnten ihnen nicht mehr helfen.
Und auf HPT-RT-251b, in der Galaxie Dzhezs-10342 hatten wir sogar das „Glück“, einen Atomkrieg zu beobachten. Als „Vorspeise“ unserer Testbeobachtungen sozusagen.
Also, mein Lieber Kollege, was sagen Sie nun über die Unmöglichkeiten der Gewalt? Zwischen den Vernünftigen?
Mein Assistent stand mit gesenktem Blick. Und dann sagt er plötzlich:
„Gut, Herr Professor, es scheint, die pessimistische Variante der Multiplen-Welten-Theorie ist endgültig gerechtfertigt…“
Nun, dann murmelte er so etwas wie, es seien momentan nur Testbeobachtungen…
Na ja, Tests!… Wobei schon durch die Testbeobachtungen praktisch alles klar war: Wir waren in der Lage, eine tragfähige freie Gesellschaft freier Individuen zu errichten, wir „sind durchgekommen“ – und der Rest nicht.
Das war der ganze Test. Eine Theorie der multiplen Welten.
Und was sollen wir nun mit diesem Wissen tun? Das, was wir eigentlich immer tun, wenn wir neues Wissen erhalten!
Weiterleben.
Und das Wissen dabei berücksichtigen…
Und hier stehen wir nun, eine Beobachtergruppe vor einem holographischen Okularmonitor. Wir warten.
Währenddessen erscheint eine Abbildung, geliefert durch unser Teleskop. Eine weitere.
Wir ließen Allona am Ende unserer Testbeobachtungsperiode absichtlich hängen, wir begründeten das durch eine nicht sehr vorteilhafte Verkürzung unserer Galaxis, die von der Schwarzen Witwe aus sichtbar war. Ich denke, es war eine elementare Ausrede. Wir wollten den Moment unbewusst einfach verzögern, als wir unseren Heimatplaneten sahen… So wie er vor 65 Millionen Jahren war. Genauer gesagt, 65200000, wie der Cyborg Ded sagte.
Vielleicht werden wir es genau jetzt sehen und wir werden es mit unseren eigenen Augen sehen! Das, was jenen zum Verhängnis wurde. Jenen, die vor uns lebten. Das, was sie vom Angesicht unseres Planeten gelöscht hat.
Nein, nicht diese riesigen Reptilien, die vor 130.000.000 Jahre lebte und die durch einen Asteroid vernichtet wurden, wie schon faktisch durch planetologische und paläontologische Forschung erwiesen ist. Diejenigen, die stattdessen kamen. Aus „political correctness“ wurde angenommen, dass irgendeine globale Naturkatastrophe auch sie vernichtet hatte. Aber dafür gibt es keine offensichtlichen Beweise. Die Paläontologen wussten, wie sie – jene, die vor uns lebten – sich und ihren Planeten genannt haben. In welchem Entwicklungsstadium sie sich befanden, ist auch grob bekannt. Aber warum sie verschwanden…
„Haben Sie ihren Verwandten telepathiert?“, fragte ich Naissia plötzlich. Auf Drängen ihres älteren Sohnes blieb die „Linsenreinigung“ hier noch eine Woche: wann ergibst sich noch die Chance, sich persönlich an den Beobachtungen mit einem solchen Teleskop zu beteiligen?!
„Habe ich gemacht“, antwortet sie überrascht, „Wieso?“
Sie versteht offensichtlich nicht, wozu ich das gefragt hatte. Ich selbst verstehe es nicht ganz… So, irgendwie wurde ich betrübt.
Ich sollte meinen Mädchen auch einmal telepathieren…
„Doch wie nannten die sich selbst …?“, dachte ich und lehnte mich mit meinem vierten Arm gegen das Geländer beim Monitor, „Laut den Entschlüsselungen der Aufzeichnungen ihrer noch erhaltenen Artefakte, primitiven Automaten, die wir im interstellaren Raum gefunden haben und mit deren Hilfe sie vermutlich glaubten, im Stande zu sein, potenzielle Brüder im Geiste zu erreichen…? Menschen, so scheint es…“
Genau, Menschen.
Und sie nannten den Planeten, unsere Allona…
Die Erde.
25. Juli 2010
Wien.
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